Landesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen in Rheinland-Pfalz e.V.

In der Drehtür

Im Folgenden handelt sich um einen Angehörigentext aus einem anderen Bundesland, der ein zentrales Thema für die Angehörigen aufgreift und in ähnlicher Form auch überall in Deutschland vorkommt.

Erfüllt das PsychKGH die auf ihm ruhenden Hoffnungen?

Wieder einmal ist die Situation eskaliert und ich fühle mich auch noch Tage danach wie nach einem schweren Unfall. Also zutiefst geschockt, ratlos und sehr traurig. Eigentlich hoffnungslos. Und wider besseres Wissen schuldig. Wie muss mein Sohn sich erst fühlen, als derjenige, der das am eigenen Leib erlebt?

Aber vielleicht musste es so kommen, damit sich endlich einmal etwas zum Guten wenden kann. Ist es nicht so, dass Krisen notwendig und reinigend sein sollen? Hat man mir nicht gesagt, wir müssen warten, bis etwas „Gravierendes“ passiert, ehe eine Intervention ohne die Zustimmung, aber zum Besten des Betroffenen stattfinden kann? Aus meiner Sicht ist bereits genug „Gravierendes“ passiert. Denn was soll noch passieren? Jetzt kann also Hilfe kommen. Ich möchte so gerne daran glauben, aber die Erfahrung sagt mir etwas anderes, weniger Optimistisches.

Viele Angehörige von Psychisch Erkrankten werden das Gleiche erlebt haben wie wir. Immer wieder, wie auf einem Karussell, das sich ewig dreht und irgendwie auch Ähnlichkeiten mit einer Geisterbahn hat. Die Schrecken lauern hinter der nächsten Ecke. Ein kurzer Stopp und gleich geht es weiter…………..

Konkret: mein an paranoider Schizophrenie erkrankter Sohn ist wieder mit Polizeigewalt in eine psychiatrische Klinik gebracht worden, in Handschellen abgeführt, in der Klinik weiter fixiert und dann in einem der trostlosen Dreibettzimmer der geschlossenen Station untergebracht worden. Vielleicht merkt er es nicht so sehr, denn wie fast alle Patienten dort ist er sediert. Wer würde das alles ohne Sedierung aushalten? Die Angehörigen müssen es.

Es ist nicht sein erster Aufenthalt in dieser Klinik, aber diesmal ist eine Tatsache anders: Ich selbst habe in diesem Fall in einer eskalierenden Situation zum ersten Mal die Polizei gerufen. Das macht die Sache nicht besser und ist ein schmerzhafter Einschnitt in der Beziehung zwischen meinem Sohn und mir. Trotzdem würde ich das gerne auf mich nehmen, wenn es nun endlich – nach 3 Jahren im freien Fall – dazu führen würde, dass er die Hilfe bekommt, die sein Leben mit dieser Krankheit verbessert. Ihm ist nicht bewusst, dass all das Leiden, das er empfindet, der Schizophrenie zuzuschreiben ist. Also wäre es eine Behandlung gegen seine Überzeugung.

Warum sollte das nicht gelingen, es ist doch schon einmal hilfreich gewesen. Vor einigen Jahren wurde er in weitaus weniger chronifiziertem Zustand in die Klinik gebracht. Der behandelnde Oberarzt stellte ihn unverzüglich dem Amtsrichter vor mit der Empfehlung einer Behandlung in der Klinik. In meinem laienhaften Wortschatz hieß das „Beschluss“. Sechs Wochen musste er dort verbringen, ausreichend Zeit, um ein Medikament gefestigt wirken zu lassen, eine Eingliederungshilfe zu beantragen, seine verwüstete Wohnung zu reinigen. Zeit auch für ihn, um die Krankheit zu verstehen, Pläne für nach seiner Entlassung zu machen und vernachlässigte Kontakte wieder aufzunehmen. Auch das war eine schwere Zeit für alle. Aber es folgten vier relativ stabile gute Jahre, um die ich immer noch dankbar bin. Erst durch das selbstbestimmte Absetzen des Medikaments wurde diese Phase beendet. Keine seltene Wendung, für die es oft keinen nachvollziehbaren Anlass gibt. Hier waren es eine coronabedingt nur noch sporadische Begleitung durch den Eingliederungshelfer und eine Freundin, die ihm „Beweise“ dafür brachte, dass ein Leben ohne Medikamente viel besser wäre. Voller Hoffnung stimmte er dem zu…………… Alle Betroffenen wissen, dass diese Art „Rückfall“ zu den Zyklen der Erkrankung gehört. Aber muss es dabeibleiben?

Ich hoffe also darauf, dass er auch dieses Mal – wie vor einigen Jahren – eine Atempause bekommt, in der er aus seiner wahngebildeten – und gefährlichen – Welt befreit wird. Und natürlich hoffe ich auch für die Familie auf eine Pause. Aber ich vermute, die Hoffnung wird schon wieder vergebens sein. Denn es hat sich Entscheidendes verändert in diesen letzten Jahren und das ist nicht nur der prekären Lage der Kliniken geschuldet, der Gleichgültigkeit der Gesellschaft und der fachlichen Ahnungslosigkeit des zuständigen Ministeriums. Das PsychKHG, also das Gesetz über Hilfen bei psychischen Erkrankungen, regelt seit ein paar Jahren solche Fälle. Es sollte ein Gesetz zum Wohle der Betroffenen werden, das den Urteilen der Gerichte zur Unterbringung von Psychisch Erkrankten und ihren Rechten folgt und eine rechtliche Situation herstellt, die die „Würde der Betroffenen schützt und ihre Persönlichkeitsrechte wahrt.“ Hilfen werden als Leistungen definiert, die „Personen befähigen sollen, eigenverantwortlich und selbstbestimmt zu leben“. In unserem Bundesland kommt dabei den Sozialpsychiatrischen Diensten eine zentrale Rolle zu.

So weit, so gut.

Aber hält dieses Versprechen nach einigen Jahren Erfahrung auch der Realität stand? Das Gespräch mit der Ärztin am Morgen, nach dem mein Sohn in der Klinik gestrandet ist, lässt diese Hoffnung eher zweifelhaft erscheinen. Natürlich, sie darf gar nicht mit mir sprechen. Das macht sie sofort klar. Aber sie willigt ein, zumindest meine Sicht der Dinge und mein Erleben anzuhören. Ich erzähle ihr von meiner Hoffnung, dass nach diesen schrecklichen und schmerzhaften Ereignissen eine richterlich verfügte Einweisung eine Chance auf nachhaltige Besserung bieten kann, damit er diesen hohen Preis der gewaltsamen Einlieferung nicht umsonst bezahlen muss.

 Ich schildere ihr die Erfahrung, die erst einige Monate zurückliegt: Einlieferung durch die Polizei, Fixierung und Unterbringung in der geschlossenen Station. Trotz meiner Intervention Entlassung nach fünf Tagen ohne Rezept für die Folgemedikation. Das wäre auch gar nicht nötig gewesen, denn nach so kurzer Zeit wirkt das Medikament noch nicht so, dass es die Einsicht zur weiteren Einnahme sichern könnte. Mein Sohn ist weiterhin fest davon überzeugt, eine tödliche organische Erkrankung zu haben, die alle Leiden verursacht. Er macht weiter wie bisher. Alle Beteiligten wissen, dass dies nach so einem kurzen Aufenthalt die wahrscheinlichste Entwicklung ist. Meine flehentliche Bitte an den Oberarzt, einen „Beschluss“ zu erwirken, liefen ins Leere. Derselbe Arzt, der dies vor wenigen Jahren noch richtig und gut fand, informierte mich jetzt, dass er das nicht mehr darf. Der Patient „kooperiert“ ja. Und überhaupt: sie sind eine „Therapeutische Einrichtung“. Ich staune. Mein Sohn wiederum würde alles versprechen, um aus dieser Klinik herauszukommen. Ich kann es ihm fast nicht verdenken. Die Zustände dort sind nicht gerade heilsam. Aber so ist er nur um eine traumatische Erfahrung „reicher“, ohne dass sie in irgendeiner Weise hilfreich gewesen wäre.

Ich möchte die Ärztin davon überzeugen, dass es dieses Mal nicht so ausgehen muss und zähle ihr die Erfolge des 6-wöchigen Aufenthalts vor einigen Jahren auf.  Aber auch sie ist resigniert. Sie erklärt, dass es nach dem neuen PsyschKHG kaum mehr möglich ist, Patienten gegen ihren Willen auf der Station zu halten. Das weiß ich und verstehe ich. Aber kann sie ihn nicht dem Amtsrichter, der am nächsten Tag kommt, vorstellen? Nein, leider nicht. Der Patient kooperiert ja im Moment…. Er gibt sich einsichtig. Die Momentaufnahme ist rechtlich entscheidend. Und ja, auch sie findet, dass das neue Gesetz zwar zum Wohle der Erkrankten sein soll, aber dies eher kurzsichtig ist. Langfristig jedoch eher zum Nachteil. Sie muss es wissen, sie sitzt an der Eingangspforte der „Drehtür“. Und so kommt es, wie es kommen muss: mein Sohn wird nach 3 Tagen bereits nach Hause entlassen. Ohne irgendeine Maßnahme, die seine Situation verbessern würde. Zwar mit der Weisung, sein Medikament weiter einzunehmen, aber eigentlich wissen alle, dass dies nicht geschehen wird. Aus seiner Sicht unnötig, ja sogar die Folge einer Fehldiagnose und damit schädlich. Klar, er ist ja weiterhin in seiner Psychose. Aus Sicht der Klinik hat man seine Schuldigkeit damit getan und rechtlich einwandfrei gehandelt. Es ist jetzt seine freie Entscheidung! Die Drehtür hat an Fahrt aufgenommen. Nicht mehr 5, sondern nur noch 3 Tage.

Dies ist kein Einzelfall. Die meisten Angehörigen in unserem Netzwerk haben diese Erfahrungen fast identisch ebenfalls gemacht. Die Drehtür dreht sich immer schneller. Sie sind fassungslos, verzweifelt, ohnmächtig. Aber es geht ja nicht um uns, sondern um die Erkrankten. Also, hat das neue Gesetz zur Unterbringung die Situation für die Betroffenen verbessert? Sind ihre Würde und ihre Persönlichkeitsrechte gewahrt worden? Sind Hilfen geleistet worden, die sie befähigen, selbstbestimmt zu leben?

Ich will dies nicht ausschließen, denn ich kenne nur einen kleinen Ausschnitt des Geschehens. Aber von dem, was ich und meine Familie erlebt haben, was die Menschen in dem Angehörigennetzwerk erleben, kann ich nur sagen: das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Einen psychiatrischen Krisendienst wie in Berlin gibt es in unserem Bundesland nicht. Also sind die Betroffenen in eskalierenden Situationen Polizeigewalt ausgeliefert, werden kurze Zeit unter belastenden Bedingungen auf überfüllten geschlossenen Stationen verwahrt, aber dann werden sie und ihre Familien wieder ihrem Schicksal überlassen. Bis zum nächsten Mal. Das dauert meistens nicht sehr lange, denn die Abstände der Klinikaufenthalte werden mit einer Chronifizierung meistens kürzer. Die Polizei oft ruppiger („Sie kenne ich doch!“) und die Betroffenen traumatisierter.

Bliebe als Hoffnungsschimmer am Horizont noch die Aufgabe des Sozialpsychiatrischen Dienstes, Hilfen zu leisten, damit die betroffenen „Personen eigenverantwortlich und selbstbestimmt leben können.“ Ein paar Wochen vor der letzten Eskalation schrieb ich dem zuständigen Mitarbeiter eine E-Mail, in der ich ihm wieder einmal die prekäre Situation meines Sohnes schilderte. Ich bat ihn um Unterstützung. Seine Antwort war knapp und präzise: „Wie Sie bereits wissen, kooperiert ihr Sohn nicht mit uns. In Fällen von Gefährdung rufen Sie die Polizei.“ Das habe ich dann getan. Und sehe keinen Sinn darin, es wieder zu tun. Es ist nur mehr Leid entstanden. Doch halt: auf der überfüllten Station ist wieder ein Bett frei geworden für einen anderen Patienten, der vielleicht ebenfalls durch die Drehtür herein wirbelt.

Verfasser*in dem Vorstand bekannt

veröffentlicht am 15. Oktober 2025 unter Aktuelles, Allgemein.